Impfungen: Mehr als nur ein kleiner Pieks

Sie sind nicht nur ein wirksamer Schutz gegen Infektionskrankheiten, sondern auch gegen Tumore und weitere Spätfolgen. Eine Leopoldina Lecture thematisierte Forschung, Entwicklung und aktuelle Bezüge der Forschung auf dem Gebiet der Impfungen.
Vorsorge statt Nachsehen

Jährlich sterben weltweit insgesamt zwischen 15 und 17 Millionen Menschen durch Infektionskrankheiten. Betrachtet man alle Todesursachen auf der Welt getrennt, wie es die Weltgesundheitsorganisation WHO regemäßig tut, sind derzeit zwar ischämische Herzkrankheiten, also Erkrankung der Herzkranzgefäße, der traurige Sieger dieser Statistik und verursachen pro Jahr 7,4 Millionen Todesfälle. Demgegenüber führen allerdings allein die Infektionen mit einem einzigen Virus, dem HI-Virus bzw. daraus folgende AIDS-Erkrankungen zu 1,5 Millionen Toten. An diesen Zahlen lässt sich ablesen, wie bedeutend der Kampf gegen Infektionen durch Schutzimpfungen und wirksame Behandlungen ist.

Dass die Bedeutung von Impfungen jedoch nach wie vor auch in entwickelten westlichen Ländern  nicht flächendeckend anerkannt wird, zeigt die Durchimpfungsrate gegen Masern: Beispielsweise sind in Deutschland sind – je nach Region unterschiedlich – nur zwischen 52 und 98 Prozent der Bevölkerung gegen Masern geimpft. "Wenn man die Masern hierzulande ausrotten will, ist allerdings eine Quote von geschätzt 95 Prozent notwendig", erklärte Dr. Wilhelm Krull, Generalsekretär der VolkswagenStiftung, in seiner Begrüßungsansprache.

Ausrottung der Pocken als Vorbild

Die Impfmüdigkeit der Deutschen benannte auch Prof. Dr. Jörg Hacker, Präsident der Nationalen Akademie der Wissenschaften, Leopoldina, als eines der zentralen Themen auf der Agenda deutscher Forscher: "Als Nationale Akademie haben wir den Auftrag, auf die Öffentlichkeit und die Politik zuzugehen und sie zu informieren. Das tun wir unter anderem mit Veranstaltungen wie dieser." Denn obwohl durch flächendeckende Aufklärung, Behandlung und Schutzimpfungen bislang weltweit nur die Pocken ausgerottet werden konnten, sei dies heute durchaus auch für andere Erreger möglich. Zum einen erwähnte Hacker hier Polioviren, die Kinderlähmung auslösen. Zum anderen sieht er auch die Impfung gegen Humane Papillomviren als wichtigen Schritt, da diese ebenso wie weitere Erreger zu Tumoren führen können. Darüber hinaus betonte der Mikrobiologe, dass nicht die bereits bekannten, sondern vor allem auch die neuen sowie kürzlich entdeckten Krankheitserreger die Forschung fortlaufend vor Herausforderungen stellen.

Prof. Dr. Jörg Hacker, Präsident der Nationalen Akademie der Wissenschaften, Leopoldina, benannte wichtige Informationen zum Thema. (Foto: Janek Stroisch)

Von Herausforderungen berichtete auch Prof. Dr. Stephan Becker, Direktor des Instituts für Virologie an der Philipps-Universität in Marburg. Er erläuterte zunächst, dass es rund zehn Jahre dauert, bis ein neuer Impfstoff erforscht und in den Verkehr gebracht ist. Angesicht des jüngsten Ebola-Ausbruchs oder auch des im September 2012 erstmals identifizierten MERS-Coronavirus, das schwere Atemwegsinfektionen auslöst, erscheint diese Zeitspanne sehr lang. Den größten Teil der Zeit nehmen dabei die Erforschung von wirksamen Impfstoffen sowie die erforderlichen umfangreichen Studien im Tiermodell und in der Klinik in Anspruch. "Neben den Forschungsarbeiten lassen sich diese Zeiten aber nicht zuletzt aufgrund von zum Beispiel Sicherheitsaspekten bei der Produktion nicht radikal verkürzen", erklärte Becker.

Emerging Viruses - Folgen für die gesamte Gesellschaft

Ein Gefahrenpotenzial, dem Wissenschaftler zunehmend begegnen müssen, stellen die sogenannten "Emerging Viruses" dar. Sie kommen ursprünglich in Tieren vor und entwickeln sich dahingehend weiter, dass sie auf den Menschen übertragbar werden und dort eine Immunantwort auslösen. Zu diesen Viren zählen zum Beispiel SARS, die Vogelgrippe, Ebola oder auch Influenza A/H5N1, die sich in jüngster Vergangenheit zum Teil mit rasender Geschwindigkeit und nahezu unaufhaltsam um den Globus verbreitet hatten. "Glücklicherweise treten starke Ausbrüche der ‚Emerging Viruses‘ nicht besonders häufig auf. Der momentane Ebola-Ausbruch hat uns aber gezeigt, dass wir uns auf größere Ausbrüche vorbereiten müssen, da sie in der Regel unvorhersehbar verlaufen", erklärte Becker. "In Afrika wurde zu Beginn des aktuellen Ausbruchs versäumt, die Infizierten schnell und konsequent genug mit Medikamenten zu behandeln." Durch zügigere internationale Hilfe wäre dieser Ausbruch schneller unter Kontrolle gebracht worden, er wird jetzt vermutlich aber auch ohne Impfstoff zu Ende gehen, so der Wissenschaftler.

Prof. Dr. Stephan Becker, Direktor des Instituts für Virologie an der Philipps-Universität in Marburg, erklärte, wie die Entwicklung von Impfstoffen abläuft. (Foto: Janek Stroisch)

Unter derartig weitreichenden Krankheitsausbrüchen leiden nicht nur die Patienten selbst, sondern auch die sozialen Netzwerke insgesamt, die öffentliche Sicherheit und nicht zuletzt die Wirtschaft. In den ohnehin armen Ländern Afrikas, in denen ganze Familien oder gar Dörfer von Ebola betroffen waren oder noch sind, kann dies auch auf lange Sicht verheerende Auswirkungen haben. Daher, so forderte Becker, sei es notwendig, Personen in die Behandlung vor Ort einzubeziehen, die sich mit den Kulturen der Länder auskennen. Nur so ließen sich auch die Nachhaltigkeit der Behandlung und z.B. auch der neu etablierten Behandlungszentren erzielen und Bedenken und Ängste der örtlichen Bevölkerung ausräumen. Das Fazit von Becker lautete, dass Forscher nicht nur für Entwicklung, Tests und Produktion neuer Impfstoffe, sondern auch bei ihrer Verabreichung sowie der Behandlung Infizierter immer auf Partner angewiesen sind, die sie auf den jeweiligen Gebieten mit ihrem Know-how sowie technischen Einrichtungen unterstützen. Durch verbesserte Zusammenarbeit aller ließen sich so auch die Zeiträume bis zur Zulassung eines neuen Impfstoffes so weit wie möglich verkürzen.

Impfungen können Krebs verhindern
Prof. Dr. Sebastian Suerbaum,

Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie und Krankenhaushygiene der Medizinischen Hochschule Hannover, fokussierte seinen Vortrag auf chronische Infektionen. Zu ihnen zählen zum Beispiel Chlamydien, Tuberkulose und Arthritis. Im Unterschied zu akuten Infektionen verlaufen diese in der Regel langsamer, da sich die Erreger weniger schnell vermehren. Dafür bergen sie aber eine größere Gefahr für Spätfolgen, denn die Erreger unterwandern gewissermaßen das Immunsystem. Unter anderem steigt die Gefahr von Tumoren: Beispielsweise kann die die Erkrankung an Hepatitis B, gegen die eine Impfung möglich ist, Jahre bis Jahrzehnte nach der Infektion zu Leberkrebs führen. Allein 2 Millionen Krebsfälle pro Jahr, das entspricht einem Anteil von 20 Prozent aller Krebserkrankungen, sind auf Infektionen mit Viren, Bakterien oder Parasiten zurückzuführen.

Prof. Dr. Sebastian Suerbaum, Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie und Krankenhaushygiene der Medizinischen Hochschule Hannover, brachte in seinem Vortrag chronische Infektionskrankheiten zur Sprache. (Foto: Janek Stroisch)