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RHET AI Center: Ein neuer Blick auf Künstliche Intelligenz

#Künstliche Intelligenz #WissKomm Zentren

Dr. Ulrike Schneeweiß

Künstliche Intelligenz dringt in viele Bereiche des Alltags vor. Wie sich die Öffentlichkeit ihre Meinung zu diesen schwer greifbaren Technologien bildet und wie ein verantwortungsvoller Umgang gelingen kann, erarbeiten Forschende aus Linguistik, Rhetorik und Medienwissenschaft zusammen mit KI-Expert:innen am RHET AI Center. 

KI-Technologien stecken in Smartphones, medizinischen Geräten, aber auch in Banken- oder Versicherungssoftwares, sie revolutionieren Landwirtschaft und Logistik, sie wirken direkt oder indirekt auf unsere Lebensbedingungen. Selbst für Fachleute ist es allerdings oft schwer, die Abläufe in den algorithmischen Systemen allgemeinverständlich zu beschreiben. Und im öffentlichen Diskurs stößt blinde Technikbegeisterung auf unsichere bis dystopische Zukunftsvorstellungen. Forschende am Center for Rhetorical Science Communication Research on Artificial Intelligence (RHET AI) möchten herausfinden, wie sich Menschen ihr Bild von KI machen. Und sie fragen: Wie muss Kommunikation über KI gestaltet sein, um die Gesellschaft zu einem verantwortungsvollen Umgang zu befähigen? 

Impulse und Reflexionsangebote 

"Wir haben die Startphase des Centers genutzt, um Ideen fließen zu lassen und viele Ansätze auszuprobieren", sagt Annette Leßmöllmann, Professorin für Wissenschaftskommunikation am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und Leiterin der Forschungseinheit ‘Diskurs und Narrative’ im RHET AI. Die Forschenden haben dabei ein fruchtbares Netzwerk von Interaktionen etabliert: mit Fachgesellschaften verschiedener Disziplinen, Journalist:innen und anderen Akteuren der Medienbranche, Schulen und diversen Zielgruppen in der Öffentlichkeit. "Wir setzen Impulse und machen an verschiedenen Stellen Gesprächs- und Reflexionsangebote", beschreibt Leßmöllmann.  

Interessierten bietet das Center zum Beispiel die interaktive Lesereihe "Ein anderer Blick auf KI". Autor:innen präsentieren hier literarische Zukunftsszenarien, die dann mit Fachleuten kritisch diskutiert werden.

Portrait einer Frau.

Annette Leßmöllmann ist Professorin für Wissenschaftskommunikation mit dem Schwerpunkt Linguistik am Karlsruher Institut für Technologie.

Auch Kunstausstellungen veranstaltet oder unterstützt das RHET AI, zum Beispiel die interaktive Ausstellung IN-ML-OUT. Sie setzt sich mit der Frage auseinander, wie KI helfen kann, Windenergie effizienter zu nutzen. Michael Pelzer, der sich am RHET AI mit Knowledge Design auseinandersetzt, hat sie gemeinsam mit Forschenden des Exzellenzclusters "Maschinelles Lernen" und Designstudierenden entwickelt. "Mit der Verbindung von Wissenschaft mit Kunst und Literatur erreichen wir Zielgruppen jenseits ohnehin Technologie-affiner Menschen", sagt Olaf Kramer, Professor für Rhetorik und Wissenskommunikation an der Universität Tübingen und Sprecher des RHET AI. "Diese Ansätze zeigen, dass ein geisteswissenschaftlich-literarischer Zugriff auf ein technologisch geprägtes Thema im gesellschaftlichen Kontext wichtig und bedeutungsvoll ist." 

Blackbox-Phänomen der Kommunikation

Die Lesereihe, Kunstausstellungen oder auch ein regelmäßiges Kolloquium unter dem Titel 'Artificial Friday': "Viele unserer Angebote sind sehr graswurzelig und locker interdisziplinär", sagt Annette Leßmöllmann. "Das zieht die Leute an" – innerhalb der Forschung wie auch im Dialog mit Öffentlichkeiten. Als besonders fruchtbar habe sich das Thema 'Blackbox' erwiesen, sagt Leßmöllmann. "Wir erforschen zum einen, wie journalistische Medien mit dem Begriff umgehen", beschreibt die Linguistin. "Das ist besonders produktiv in der Zusammenarbeit mit den KI-Forschenden, die auf technischer Ebene täglich mit dem Phänomen umgehen." An der Schnittstelle mit Öffentlichkeiten erlebe sie dann auch "Blackbox-Phänomene der Kommunikation": Es fehlt ein geteiltes Verständnis des Gesprächsgegenstands als Grundlage für einen Dialog. "Während Fachleute diskutieren, ob KI überhaupt eine Blackbox ist, fragen sich Laien, ob Forschende KI-Technologien womöglich absichtlich so geheimnisvoll umschreiben", schildert Leßmöllmann. "Und sie stellen sorgenvolle Vermutungen darüber an, ob Unternehmen irgendetwas da hineinstecken, das vielleicht von Nachteil ist."

Während Fachleute diskutieren, ob KI überhaupt eine Blackbox ist, fragen sich Laien, ob Forschende KI-Technologien womöglich absichtlich so geheimnisvoll umschreiben.

Annette Leßmöllmann

In neue Fragestellungen katapultiert 

Mit dem öffentlichen Zugang zu ChatGPT ist KI sehr vielen Menschen deutlich nähergekommen. Und gerade hier sei das Blackbox-Phänomen gravierend und besonders akut, meinen die RHET AI-Forschenden. "Einerseits tritt uns ChatGPT als quasi-menschenähnlicher Gesprächspartner gegenüber und ist dabei sehr persuasiv", sagen sie – denn Antworten des Programms klingen selbstbewusst und überzeugend. Im Kontrast zu dieser scheinbaren Nahbarkeit haben Nutzende oft keine Ahnung, wie die generierten Texte zustande kommen. "Nicht mal aus wissenschaftlicher Sicht kann man sagen, was das Korpus ist, auf das sich die Software bezieht oder welche Kriterien das Modell verwendet, um Argumente zu gewichten und Texte zu strukturieren", mahnt Olaf Kramer. "Und der Output ist nicht reduplizierbar." 

Portrait eines Mannes

Olaf Kramer ist Professor für Rhetorik und Wissenskommunikation am Seminar für Allgemeine Rhetorik der Universität Tübingen.

Das Erscheinen von ChatGPT auf der öffentlichen Bühne hat das RHET AI Center – das kann man wohl sagen – ordentlich aufgewühlt. "Es hat unsere Forschungsagenda in ganz andere Fragestellungen katapultiert", beschreibt Susanne Marschall, die die RHET AI-Forschungseinheit Visual Communication leitet. Plötzlich steht beispielsweise die Frage, wie KI die Wissenschaftskommunikation beeinflusst, brandaktuell mitten im Raum. "Die Dynamik der Wirklichkeit widerspricht der Logik, mit der man normalerweise Forschung plant", sagt die Professorin für Medienwissenschaft der Universität Tübingen. "Und die aktuelle Entwicklung zu ignorieren, kommt nicht in Frage – also müssen wir unsere Pläne nachjustieren." Dass das gelinge, sei ein herausragendes Merkmal der Arbeit im RHET AI: "Aktuelle Ereignisse in geisteswissenschaftlichen Disziplinen reflexiv zu beforschen – wir kriegen das hin!" 

Protestforschung mit Laborcharakter

So erforscht eine Doktorandin im RHET AI den Protestdiskurs um Künstliche Intelligenz auf lokaler Ebene. Am Standort Tübingen gab es seit 2018 massive Proteste gegen die Einrichtung des Forschunsverbundes 'Cyber Valley'. "Die Stadtcommunity steckt heute noch in einer heftigen Debatte und die Menschen sind sehr diskursfreudig", schildert Anna-Marie Köhler das Umfeld, in dem ihre Promotion stattfindet. "In dieser Gemengelage etablieren wir verschiedene Kommunikationswege - unsere Arbeit hat einen gewissen Laborcharakter." Zwei weitere RHET AI-Doktorandinnen untersuchen im Rahmen öffentlicher Veranstaltungen, welche Bedenken Protestierende motivieren und wie die Bedenken zustande kommen. Im Austausch der Forschungseinheiten des RHET AI Centers untereinander fließen die gewonnenen Erkenntnisse letztlich auch in die Entwicklung neuer Ansprachen und Veranstaltungsformate für die Wissenschaftskommunikation ein.
 

Ernüchterung bei Journalist:innen 

Das RHET AI Center geht verschiedene Wege, um diverse und breite Publika der Wissenschaftskommunikation und ihrer Erforschung zu erschließen. Im Cyber Valley wurde dafür das Journalist-in-Residence-Programm eingerichtet. Journalist:innen bekommen Einblicke in Forschung und Entwicklung und die Möglichkeit, drei bis sechs Monate lang zu einem Thema ihrer Wahl zu recherchieren. Sie gehen dabei unterschiedlichsten Fragen nach, die sie sich im Kontext von KI im Energiemanagement, im Nachrichtenwesen oder auch in der Pandemieprävention stellen. Und sie alle treibt die Frage an, wie KI-Anwendungen die journalistische Arbeit verändern werden. "Ihre bisherigen Ergebnisse bergen einen gewissen Grad an Ernüchterung darüber, wie komplex und aufwendungsreich der Weg einer KI-basierten Methode in die praktische Anwendung sein kann", sagt Patrick Klügel, der die Journalist:innen betreut. "Das spiegelt im Prinzip den Grundgedanken hinter der Aufklärungsarbeit des RHET AI Centers: Viele Dinge sind, wenn man sie aus verschiedenen und interdisziplinären Perspektiven betrachtet, komplexer, als es im öffentlichen Diskurs erscheint."

Portrait einer Frau.

Susanne Marschall ist Direktorin des Zentrums für Medienkompetenz der Universität Tübingen.

Bildungswesen: Handlungsappelle an die Politik 

In Zusammenarbeit mit Wissenschaft im Dialog (WiD) lädt das RHET AI Center Forschende dazu ein, mit Schüler:innen in den Dialog zu treten. Unter dem Titel "I’m a Scientist" sprechen sie in Onlinechats über Themen aus dem Bereich Künstliche Intelligenz. "Dieses Format hat eine große Reichweite", sagt Olaf Kramer. "Mit einem Chat erreichen wir im besten Fall hunderte von Schüler:innen." 

Schulen und das Bildungswesen liegen RHET AI-Forscherin Susanne Marschall auch mit Blick auf die Arbeitswelt am Herzen, die sich durch KI-Technologien fundamental verändern wird. Marschall sieht die Gefahr, dass "viele Menschen in einer Optimierungswelle abgehängt werden - das führt zu sozialer Unzufriedenheit." Das Bildungssystem leite Menschen nicht rechtzeitig in der Auseinandersetzung mit KI an. Marschall sieht einen riesigen Bedarf an konkreten Überlegungen dazu, wie sich das Schulwesen an die aktuellen Anforderungen anpassen kann. "Dabei geht es um weit mehr, als ein bisschen programmieren zu lernen." Weit über das Center hinaus haben sich die RHET AI-Forschenden mit Fachleuten der Pädagogik vernetzt, um diese Aufgabe anzugehen und Handlungsappelle an die Politik zu formulieren. Und um Studierenden zeitgemäße Kenntnisse zu vermitteln, "setzen wir Forschung sehr schnell in Lehrinhalte und -veranstaltungen um", sagt Marschall. "Das ist bei der rasanten Entwicklung absolut notwendig."

Wir setzen Forschung sehr schnell in Lehrinhalte und -veranstaltungen um, das ist bei der rasanten Entwicklung absolut notwendig.

Susanne Marschall

Verstehen schafft Vertrauen 

Die Anknüpfungsmöglichkeiten der Forschung im RHET AI Center an Bereiche anderer Disziplinen sind mannigfaltig und das Thema KI – weil es uns alle und so viele Aspekte des alltäglichen Lebens betrifft – ist omnipräsent. Um Fragestellungen, Forschungsbeiträge und Erkenntnisse der beteiligten Institutionen gebündelt darzustellen, hat das Center einen Aufsatzband auf den Weg gebracht. "Damit wollen wir einerseits ein breites Publikum erreichen, andererseits auch in die wissenschaftliche Community reinfunken", sagt Annette Leßmöllmann. 

Olaf Kramers Beitrag in der Reihe befasst sich mit der politischen Dimension des Themas. Er hat den politischen Diskurs etwa auf EU-Ebene fest im Blick. "Hier spricht man denkwürdigerweise in der Regel von den 'potenziellen Risiken' und 'sicheren Nutzen' von KI-Technologien – dabei könnte man es auch umgekehrt formulieren", sagt er. "Die EU-Politik setzt auf ein Ökosystem des Vertrauens in KI, um sie weiterentwickeln zu können." Er hält dem entgegen, dass es notwendig ist, die Technologien zu verstehen und zu erklären. "Verstehen ist eine Voraussetzung für Vertrauen, die EU Politik unterschätzt das." Mit der politischen Diskussion rücken auch ethische Probleme ins Blickfeld der Forschenden: globale Ungerechtigkeiten in der Verteilung von Arbeit an KI und dem Nutzen aus den Technologien. "Die internationalen und ethisch-politischen Dimensionen des Themas sind etwas Neues auf unserer Agenda und stärker als erwartet in den Fokus gerückt", sagt er.

Das Foto zeigt zwei Personen von oben, wovon eine Person ein Buch liest und die andere am Laptop arbeitet.

Wie reagieren auf den "Meteoriteneinschlag" ChatGPT?

KI-Sprachmodelle erobern in rasantem Tempo die Welt und prägen zunehmend unsere Gesellschaft. Inwieweit sind ChatGPT und ähnliche Programme in der Lage, unser Bildungswesen zu verändern? Wo macht ihr Einsatz Sinn, wo ist er gefährlich? Darüber diskutierten Expert:innen bei der Veranstaltung "Das Ende des Selberdenkens? Wie ChatGPT Schule und Studium verändert hat".

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KI als übergreifendes Thema bringt Forschungs- und Aufklärungsbedarf in verschiedenste Bereiche – von der Arbeitswelt über das Bildungswesen bis in den Journalismus und die Wissenschaftskommunikation. Das RHET AI Center will dazu beitragen, dass Aufklärung gelingt. Wo steht das Center zwei Jahre nach der Gründung? "Wir haben uns in der wissenschaftlichen Community etabliert", sagt Annette Leßmöllmann. "Viele wollen jetzt dabei sein." Das liege auch daran, dass die Forschenden hier eine bestimmte Art entwickelt hätten, Disziplinen zusammenzubringen – und gerade die Geisteswissenschaften dabei sehr sichtbar würden. "Es ist eine Leistung, dass uns das gelingt!", findet Leßmöllmann. Darüber hinaus sieht sie das RHET AI Center als einen Inkubator für das junge Feld der Wissenschaftskommunikationsforschung. "Wir inkubieren interdisziplinäre Arbeit zur öffentlichen Kommunikation über KI. Dabei setzen wir neue Akzente aus den Geisteswissenschaften."