Veranstaltungsbericht

Zwischen Selbstachtung und Schockstarre: Blick in die Zukunft

Autorin: Dr. Ulrike Schneeweiß

Über verschiedene Perspektiven auf die Zukunft sprachen Wissenschaftler:innen beim Herrenhäuser Gespräch "Augen zu und durch?". Sie diskutierten, ob wir die derzeitigen Krisen ernst genug nehmen, wie wir realistisch in die Zukunft schauen können und was wir aus der Geschichte lernen.

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Videomitschnitt der Veranstaltung

Kaum ein Platz war an diesem Abend des 14. März 2024 leer geblieben im Saal des XPlanatoriums im Schloss Herrenhausen. Und nicht nur neugierig waren die zahlreichen Gäste, die große Mehrheit von ihnen bezeichnete sich bei der Begrüßung durch Katja Ebeling, Leiterin des Teams Veranstaltungen der VolkswagenStiftung, selbst auch als optimistisch beim Blick auf die Zukunft.

"Die Zukunft ist immer schon da, nämlich in unseren Köpfen", sagte eingangs Florence Gaub. Die Politikwissenschaftlerin und Zukunftsforscherin leitet den Forschungsbereich des NATO Defense Colleges in Rom und hat ein Buch mit dem Titel ‘Zukunft: eine Bedienungsanleitung’ veröffentlicht. Menschen dächten ständig in projizierten Zukünften, schilderte sie, auf der Ebene der persönlichen, kurz- und längerfristigen Planung, der Entwicklung der Gesellschaft und der Zukunft der Menschheit. "Diese Projektionen laufen auf Autopilot. Im Buch "Zukunft: eine Bedienungsanleitung" geht es darum, wie wir die Gedanken beeinflussen und bewusst in die Zukunft schauen können", erklärte Gaub. Eine wichtige Art und Weise sei, "den Geist wandeln zu lassen - anders gesagt: tagträumen."

In Zusammenarbeit mit NDR Kultur

NDR Kultur zeichnete das Herrenhäuser Gespräch auf und sendet es am 24. März 2024 in der Sendung "Sonntagsstudio".

Er halte es für kein gutes Zeichen, zu viel in die Zukunft zu denken und geradezu neurotisch zu planen, was man nicht beeinflussen könne, hielt der Philosoph Thomas Metzinger von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz dagegen. Das Leben finde im Jetzt statt und entscheidend sei, wach und präsent zu sein.

Mit der derzeitigen Situation sich überlagernder Krisen umzugehen, erfordere eine Debatte, die über Pessimismus und Optimismus hinausgehe, sagte Metzinger. Für viele Menschen sei es aber eine geistige Herausforderung, überhaupt anzuerkennen, wie schlimm es wirklich steht. Der Begriff ‘Klimawandel’ beispielsweise sei ein Euphemismus, der die drohende Katastrophe beschönige. "Es gelingt uns nicht, die Wahrhaftigkeit aufzubringen, zu erkennen: Es sieht schlecht aus", konstatierte der Philosoph mit dem Forschungsschwerpunkt Neuro- und Kognitionswissenschaften. Seine Erklärung dafür: Unsere geistige Struktur ist nicht darauf ausgelegt, mit einer Katastrophe umzugehen, die sich in Zeitlupe entwickelt und anfangs nicht wahrnehmbar ist. Angesichts unseres ausbleibenden Handelns könnten wir uns inzwischen selbst nicht mehr ernst nehmen, meint er. Die Frage der Stunde laute daher: "Wie bewahrt man seine Selbstachtung in einer historischen Phase, in der die Menschheit als Ganze ihre Würde verliert?" Für ihn gehe es jetzt um intelligentes Katastrophenmanagement und Schadensbegrenzung. "Wir sollten uns deshalb von Zweckoptimismus befreien" sagte er. "Vielleicht erwächst daraus eine neue Zukunftsfähigkeit.

"Wir sind spät dran, aber der Zug geht in die richtige Richtung. Ich glaube, man muss den Menschen sagen: We can do it!"

Sie betreibe keinen Zweckoptimismus, widersprach Florence Gaub. In ihrer Tätigkeit als Forscherin bei der NATO sei sie immerhin so etwas wie ‘Berufspessimistin’: "Wir zeichnen das schlimmstmögliche Zukunftsszenario und schauen, wie wir damit umgehen können." Gleichzeitig sei es nicht sinnvoll, Menschen mit negativen Nachrichten zu überwältigen und in eine Schockstarre zu versetzen. Mit Blick auf den Klimawandel meint sie: "Wir sind spät dran, aber der Zug geht in die richtige Richtung. Ich glaube, man muss den Menschen sagen: We can do it!"

Eine klare, rationale Bestandsaufnahme des Ist-Zustandes, wie Metzinger sie anstelle, sei die Grundlage für ihre Arbeit, wandte Simone Kimpeler vermittelnd ein. Die Kommunikationswissenschaftlerin erforscht Zukünfte am Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI) in Karlsruhe. Das Problem der Menschen, über die Zukunft nachzudenken, werde in der Podiumsdebatte deutlich sichtbar: "Wir machen eine Bestandsaufnahme des Jetzt und verknüpfen sie mit unseren Erwartungen und Befürchtungen." In ihrer Forschung gehen Wissenschaftler:innen wie Kimpeler hingegen systematisch mit Fragen der Zukunft um. "Wir identifizieren Einflussfaktoren, schätzen deren Entwicklung ab und verknüpfen diese miteinander", erklärte sie. "So zeigen wir Möglichkeitsräume der Umfeldentwicklung auf. Daraus ergeben sich verschiedenen Zukunftsszenarien mit ihren jeweiligen Chancen und Risiken." Wer Entscheidungen trägt, kann anhand der Szenarien überlegen, wie Entwicklungen gestaltet und beeinflusst werden können und sollen. Das sei wichtig im politischen Planen oder auch für die Forschungsförderung. Anhand der systematisch entworfenen Szenarien werde erkennbar, in welche Forschungsfelder heute zu investieren sinnvoll sei, damit die Ergebnisse in einer zu erwartenden Zukunft ihre Wirkung entfalten könnten.

Fünf Personen sitzen auf einem Podium, eine davon per Bildschirm zugeschaltet.

Dr. Florence Gaub, Prof. Dr. Thomas Metzinger, Dr. Simone Kimpeler, Moderator Ulrich Kühn, zugeschaltet: Prof. Dr. Annette Kehnel (v. l. n. r.)

Auch Florence Gaub wünscht sich einen gesellschaftlichen Diskurs, in der positive und negative Zukunftsvorstellungen koexistieren. Der Zukunftsdebatte in Deutschland fehle es derzeit an Positivem, findet sie. "Die Inhalte sind existenziell, fast schon apokalyptisch - da ist ganz schön viel Ende der Menschheit drin." Dabei gebe es durchaus gute Ideen für Systemwandel und vertrauenswürdige Fachleute, die sich um die Umsetzung kümmerten.

"So viel Endzeitstimmung wie heute gab es selbst im Mittelalter nicht", pflichtete die Historikerin Annette Kehnel von der Universität Mannheim ihr bei. Ein Hindernis für konstruktives Zukunftsdenken sieht sie in der Fixierung auf anhaltendes (wirtschaftliches) Wachstum und Wohlstandsvermehrung. "Unsere Vorstellung von Geschichte konzentriert sich absolut auf Höherentwicklung", beobachtet Kehnel – vom naiven Steinzeitmenschen bis hin zur Aufklärung und der Begründung rationalen Denkens, das die Menschheit zu den ‘Herren der Schöpfung’ mache. Dieses Denken zeige unbeabsichtigte Nebenwirkungen: "Es führt zu einer Denkblockade, die ich als Mythos Alternativlosigkeit bezeichne." Die erzeuge das Gefühl der Überforderung damit, den Planeten und die Menschheit retten zu müssen, ohne den Pfad der Wohlstandsvermehrung zu verlassen.

Das Bewusstsein für eigene Gestaltungsmöglichkeiten zu stärken, könne helfen, dem Pessimismus entgegenzuwirken, meint Simone Kimpeler. Für Menschen sei es deshalb wichtig, sich unabhängig von rational vorhersagbaren Szenarien klarzumachen, wie eine für sie wünschenswerte Zukunft aussieht. Und als Gesellschaft müssten wir einen Konsens darüber finden, an welchen gemeinsamen Werten wir unsere Planung ausrichten. "Dieser Prozess könnte in Deutschland durchaus verstärkt werden", findet Kimpeler - um geteilte Visionen zu erarbeiten und gemeinsam Prioritäten für nachhaltige Entwicklungen zu setzen. "Dann können wir unsere Kräfte bündeln, um uns in eine Richtung zu bewegen."

Seit wann Menschen überhaupt in Kategorien der Nachhaltigkeit dächten, fragte Moderator Ulrich Kühn (NDR) die Historikerin Annette Kehnel, die ein Buch zur Geschichte der Nachhaltigkeit geschrieben hat. Der Begriff sei zwar erst durch die Holzwirtschaft des 18. Jahrhunderts geprägt worden, sagte Kehnel. "Rücksicht auf die Anliegen unserer Nachkommen zu nehmen ist aber ein genuines Eigeninteresse der Menschen", meint sie. "Die Frage ist doch: Wann haben wir das verlernt?" Für den Gedankten erntete sie deutliche Zustimmung aus dem Publikum. Nach Antworten sucht sie in der jüngeren Vergangenheit. Mit dem Wirtschaftswunder und der Erfindung der Kunststoffe habe eine Kurzfristorientierung und Wegwerfmentalität in Gesellschaften Einzug gehalten, befindet sie. Auch die Fixierung auf Quartalszahlen in der Wirtschaft verenge den Blick auf Handlungsspielräume. Ob Kurzfristorientierung und Gier sich evolutiv bewährt hätten oder einer modernen Kultur der absoluten Maßlosigkeit zuzuschreiben seien – darüber diskutierten Thomas Metzinger und Annette Kehnel. Die Historikerin gab außerdem zu bedenken, dass gesellschaftliche Strukturen in Deutschland derzeit geprägt seien von der Generation der Babyboomer, die ihrem Alter gemäß auf Sicherheit achteten und an ihrem Kapital festhielten. "Wenn wir rational begründet handeln würden, würden wir unseren Einfluss, unsere Ideen, Geld und Beziehungen doch jetzt den Jüngeren vermachen" sagte Kehnel und plädierte für Vertrauen in die nachfolgenden Generationen. "So viele Fehler wie wir können sie gar nicht machen!"

In ihren Statements zum Schluss der Diskussion hoben die Teilnehmenden auf die Verantwortung ab. Florence Gaub betonte den Einfluss unseres Handelns auf die Zukunft, Thomas Metzinger die Fähigkeit, als moralisches Subjekt aus Werten heraus zu handeln. Simone Kimpeler appellierte, unsere globale Verantwortung und die vielen anderen Menschen auf der Welt mitzudenken - das bringe neue Perspektiven. Annette Kehnel erinnerte daran, dass Teilen und Kooperieren in der Natur des Menschen liege. Und angesichts der auf dem Podium eingehend diskutierten Endzeitstimmung und Suche nach Wegen aus den derzeitigen Krisen, sagte sie: "Menschen haben schon immer in Zeiten gelebt, die so noch nie da waren. Sich mit Geschichte auseinanderzusetzen, schult den Möglichkeitssinn."

Auf dem Podium:

Das zeigt eine Sprachblase aus Bäumen, die auf trockener Erde stehen.

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